19 Der Mensch, eine bedrohte Art?

Autorin: Rebekka Dieckmann

Von Heuschrecken, Wölfen und anderen „Feinden

Durch das Ausbeuten der Umwelt bedroht der Mensch viele Arten – und sich selbst. Gibt es da auch noch Tiere, die ihn existenziell bedrohen? Oder können dem Homo sapiens nur noch Klimawandel und Covid19 gefährlich werden? Die Sendung geht gefühlten und echten Bedrohungen des Menschen durch Tiere nach – und fragt nach Ursachen, Folgen und Lösungen.

Kommt etwa dem deutschen Wild heute wirklich die Rolle von Waldzerstörern zu? Lässt sich eine konstruktive Haltung zu Elefantenherden oder Heuschrecken-Myriaden einnehmen, wenn diese über Felder herfallen und Menschen in Existenznot bringen? Wie sieht es mit Raubtieren aus, wie Jaguar, Tiger oder Wolf? Die Debatten um das Miteinander mit diesen „Untieren, die nur Mensch und Haustier angreifen wollen“ sind emotional besonders aufgeladen. Denn nicht alle sehen in ihnen Lebewesen mit Existenzrecht.

Miteinander von Mensch und Tieren

Welche Bilder treffen zu? Wo wird Tieren Unrecht getan, wo sind die Bedrohungen real? Ist ein Zusammenleben vieler Tierarten mit dem Menschen tatsächlich so unmöglich? Wie gehen politische Entscheidungsträger*innen damit um? Kann es einen künftigen Umgang mit Wildtieren geben, der Tier und Mensch entgegenkommt? Und vor allem den gerecht wird, dass alle involvierten Spezies Lebewesen sind? Wird da nicht der Ruf nach einer Zukunfts-Ethik laut, die zu einem positiven Miteinander von Menschen und Tieren führt? Wie könnte sie aussehen? Welches Naturverständnis hilft uns, mit den Bedrohungen besser umzugehen – den realen und den gefühlten?

Folge 19 anhören:

Sendung in hr-iNFO: 29.05.2021, 11:30 Uhr

Gesprächspartner*innen dieser Folge

  • Gitta Connemann, Mitglied des Deutschen Bundestags (CDU), Leer
  • Dr. Markus Dietz, Leiter des Instituts für Tierökologie und Naturbildung, Laubach-Gonterskirchen
  • Sandra Funk-Gerhard, Anwohnerin, Unter-Seibertenrod
  • Wolfgang Geiß, Ortsvorsteher, Unter-Seibertenrod
  • Prof. Dr. Matthias Glaubrecht, Biodiversitätsforscher, Universität Hamburg
  • Thomas Hoerz, Programmleiter der Welthungerhilfe in Somaliland (Afrika)
  • Dr. Alexander Moßbrucker, Wildtierökologe, Science and Conservation Officer für Sumatra, Zoologische Gesellschaft Frankfurt
  • Manuel Schweiger, Wildnisreferent, Zoologische Gesellschaft Frankfurt

Zusatzmaterial

  1. Tierschutzkonflikte am Beispiel des Wolfes in Hessen
  2. Nationalpark Kellerwald-Edersee
  3. Heuschreckenschwärme

1. Tierschutzkonflikte am Beispiel des Wolfes in Hessen

Ein sehr bekannter und kontrovers diskutierter Konflikt im Bereich des Naturschutzes ist die Wiederbesiedelung Deutschlands durch den Wolf. Denn Wölfe waren bei uns bis 1904 bereits heimisch, wurden allerdings durch massive Bejagung ausgerottet. Auch heute noch sind besonders Weidetierhalterinnen und -halter sowie Personen, die in der Nähe von Waldgebieten wohnen, in Sorge vor „Meister Isegrim“. Im Jahre 2008 konnte in Hessen der erste wieder eingewanderte Wolf nachgewiesen werden. Seitdem steigt die Zahl der Sichtungen, aber auch die der Meldungen von verletzten oder getöteten Weidetieren. Das Land Hessen verspricht den Haltern Beratung im Umgang mit Wölfen sowie Geld zur Prävention und Verlustkompensation. Die Landesvorgaben zum Schutz von Weidetieren werden in Fachkreisen jedoch diskutiert und kritisiert. Ob in Afrika oder in Hessen: der Erhalt geschützter Wildtierarten erfordert Mitwirkung und die Akzeptanz der Menschen vor Ort ebenso wie eine sachgerechte Politik.

https://www.hlnug.de/themen/naturschutz/tiere-und-pflanzen/arten-melden/wolf
https://www.fnp.de/lokales/wiesbaden/hessen-wolf-anzahl-stark-gestiegen-schaefer-sind-panik-zr-13232139.html
https://ljv-hessen.de/wolf-wieder-sesshaft-in-hessen/
https://llh.hessen.de/tier/schafe-und-ziegen/wolfsmeldungen-und-rissereignisse-in-hessen/

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2. Nationalpark Kellerwald-Edersee

Der nordhessische Kellerwald ist als Teil des Nationalparks Kellerwald-Edersee ein Bestandteil der Initiative „Wildnis in Deutschland“. Dieses Bündnis unterstützt deutschlandweit die Gründung von Nationalparks und die Schaffung von Wildnisgebieten.
Im Nationalpark Kellerwald-Edersee untersuchen Wissenschaftler die Entwicklung eines Buchenwaldes, der nicht von Menschen beförstert wird, und dessen Bewohner. Im Juni 2011 wurde er als einer von fünf „Alten Buchenwäldern Deutschlands“ von der UNESCO, der Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur („United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization“), als Weltnaturerbe ausgezeichnet.

Nach der letzten Eiszeit war die Wildnis Mitteleuropas von Rotbuchen (Fagus sylvatica) geprägt. Trotz der starken Veränderungen durch Land- und Forstwirtschaft sowie durch andere menschliche Nutzungen wachsen in Deutschland noch 26% des Gesamtbestandes dieser nur in Europa vorkommenden Baumart . Die meisten Bestände sind relativ jung (bis 120 Jahre) – im Kellerwald sind jedoch mehr als 30% der Rotbuchen älter als 140 Jahre. Alte Bäume haben einen hohen ökologischen Wert. Sie binden große Mengen des Treibhausgases CO2, filtern Feinstaub aus der Luft und bieten mit ihrem Blattwerk, Baumhöhlen und Totholzbereichen verschiedensten Tierarten einen Lebensraum.
Der älteste Baum der Welt ist eine Fichte, die seit etwa 10.000 Jahren in Nordschweden wächst. Bei uns werden Fichten hingegen „nur“ etwa 300 Jahre alt, während Linden und Eichen ein Alter von 1.000 Jahren und mehr erreichen können. Genau das hat eine Linde im osthessischen Schenklengsfeld geschafft. Sie ist mit einem geschätzten Alter von über 1.000 Jahren der älteste Baum Hessens.

Erst im Oktober 2020 wurde der Nationalpark um 1950 Hektar erweitert, sodass dieser nun auch schützenswerte Flächen nördlich und östlich des Edersees umfasst. In dieser Fläche liegen beispielsweise Orchideen-Buchenwälder oder artenreiche Kalkmagerrasen. Letztere werden unter anderem von gefährdeten Tierarten wie der Kurzflügeligen Beißschrecke (Metrioptera brachyptera) oder dem Kreuzenzian-Ameisenbläuling (Phengaris rebeli) bewohnt.
Ausführlichere Informationen zu Wildnis in Deutschland finden Sie unter anderem in der Handreichung des Bundesamtes für Naturschutz „Mehr Wildnis in Deutschland! Warum wir Wildnisgebiete brauchen“.

https://wildnisindeutschland.de/gebiete/kellerwald-edersee/
https://umwelt.hessen.de/presse/pressemitteilung/hinz-verkuendet-erfolgreiche-erweiterung-des-nationalparks-kellerwald-edersee

Bildhafte Eindrücke von den Buchenwäldern des UNESCO-Weltnaturerbes zeigt ein Video des Kanals „Regierung Hessen“.

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3. Heuschreckenschwärme

Bei einigen Arten aus der Familie der Feldheuschrecken (Acrididae) können sich die einzeln lebenden Individuen* in eine soziale Form umwandeln und große Schwärme bilden. Diese Arten bezeichnet man zusammenfassend als „Wanderheuschrecken“. In ihrer sogenannten „gregären Phase“ (vom lateinischen „gregarius“: zur Herde gehörend) legen sie große Distanzen zurück und vertilgen enorme Mengen an pflanzlicher Biomasse. Diese schwarmbildende Phase tritt jedoch nur unter bestimmten Bedingungen auf. So führt bei der Wüstenheuschrecke (Schistocerca gregaria) erst ein erhöhter Spiegel des Hormons Serotonin dazu, dass die Tiere innerhalb weniger Generationen (das heißt weniger Monate) in ihre gregäre Phase eintreten. In freier Wildbahn führt ein Mangel an Nahrung dazu, dass sich viele Heuschrecken an den verbliebenen Futterstellen sammeln. Durch die vermehrten Berührungen der Hinterbeine wird nun eine erhöhte Serotoninausschüttung ausgelöst, welche wiederum den Wechsel zur gregären Phase verursacht. Durch diesen Prozess ändern die Tiere nicht nur ihr Verhalten, es sind zudem äußere Farbveränderungen zu beobachten. Daher dachte man lange, die „Wanderheuschrecke“ sei eine eigenständige Art.
Zuletzt traten große Heuschreckenschwärme zu Beginn des Jahres 2020 in Ostafrika, auf der Arabischen Halbinsel und in Südasien auf. Die Welthungerhilfe berichtete jedoch bereits im Februar 2021 von ersten Anzeichen neuer Schwärme am Horn von Afrika. Die Bundeszentrale für politische Bildung gibt an, dass es in Kenia zuletzt vor 70 Jahren zu vergleichbaren Heuschreckenschwärmen kam. In Äthiopien ist es 25 Jahre her. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bringen dies mit dem Klimawandel und den dadurch günstigeren Umweltbedingungen in Verbindung. So bieten ungewöhnlich starke Regenfälle und tropische Stürme den Tieren bessere Brutbedingungen.
Um die Folgen der Heuschreckeninvasionen gerade in armen Ländern zu mindern, wird den Schwärmen mit Insektiziden oder auch mit Pilzsporen als Mittel der biologischen Schädlingsbekämpfung entgegengewirkt. Die Anstrengungen im Fall der in 2020 aufgetretenen Heuschreckenschwärme wurden jedoch durch die Corona-Pandemie zusätzlich erschwert.

*Nähere Informationen zur Biologie von (heimischen) Heuschrecken finden Sie hier.

https://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/310681/heuschreckenplage
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/wanderheuschrecken/70133
https://www.biologie.uni-konstanz.de/fachbereich/aktuelles/details/die-ursachen-von-heuschreckenplagen-verstehen1/
https://www.faz.net/aktuell/wissen/natur/heuschrecken-wie-der-schwarm-entsteht-1751757.html

Der Kanal der Tagesschau berichtet in einem Videobeitrag von den im Jahr 2020 aufgetretenen Heuschreckenschwärmen und den Folgen für die Menschen vor Ort.

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Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.

Die taxonomische Einordnung von Tieren und Pflanzen in diesem Zusatzmaterial basiert auf der aktuellen Fassung der Global Biodiversity Information Facility (GBIF) mit letztem Zugriff am 25.05.2021.

Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 25.05.2021 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller & B.Sc. Biol. Lennart Schulte

Zusatzmaterialien als PDF zum Herunterladen