18 Warum Tierschutz kein Artenschutz sein muss

Autorin: Juliane Orth

Zwei Worte, ein Inhalt?

Zwischen den Begriffen Arten- und Tierschutz muss man fein differenzieren. Wo Tierschutz auf das einzelne Tier und seine Unversehrtheit zielt und den Tieren ein „artgerechtes“ Leben ohne Leiden, Schmerz und unnötige Beeinträchtigungen ermöglichen will, geht angewandter Artenschutz oft schon in Richtung Entwicklungsarbeit. Denn Hauptursachen für den Verlust der Artenvielfalt sind die gravierenden Ungleichheiten zwischen Arm und Reich, die Begrenztheit der natürlichen Ressourcen und die zunehmende Gefährdung der ökologischen Grundlagen unseres Lebens.

Nachdem in den vorangegangenen Folgen des hr-iNFO-Funkkollegs der Artenschutzaspekt vertieft wurde, geht es in dieser Ausgabe vor allem um den Tierschutz und seine Facetten (etwa in den Bereichen Landwirtschaft, Zoos und Tierschutzorganisationen). Zudem wird ein vergleichender Blick auf die rechtlichen Grundlagen von Tier- und Artenschutz sowie auf die Umsetzung und Kontrolle dieser Vorgaben geworfen.

Welche Rechte haben Tiere – und gelten sie für alle?

Wie  kann es etwa angehen, dass es vielerorts eine differenzierte Tierschutzgesetzgebung und -rechtsprechung gibt, auf der anderen Seite aber in immer mehr Ländern Naturschutzgebiete untergraben, Schutzregelungen gelockert und die Flächen verkleinert oder gar aufgelöst werden? Kann aus den Reihen der Bevölkerung eine effektivere Tier- und Artenschutzgesetzgebung vorangetrieben werden? Liefert etwa das Volksbegehren „Artenschutz – Rettet die  Bienen“ aus dem Jahr 2019 ein gutes Beispiel dafür, wie das gehen kann und sollte? Und wenn es in dieser Folge schon so intensiv um eine Rechtsprechung für Tiere geht – welche Rechte haben Tiere eigentlich selbst? Und ist jedes Tier vor dem Gesetzgeber gleich?

Folge 18 anhören:

Sendung in hr-iNFO: 22.05.2021, 11:30 Uhr

Gesprächspartner*innen dieser Folge

  • Dr. Thomas Kauffels, Direktor des Opel-Zoos, Kronberg, und Vorsitzender der Europäischen Gesellschaft der Zoos und Aquarien (EAZA), Amsterdam
  • Dr. Madeleine Martin, Landestierschutzbeauftragte in Hessen, Wiesbaden
  • Prof. Dr. Anne Peters, Direktorin des Max-Planck-Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Heidelberg
  • Hester Pommerening, Pressereferentin, Deutscher Tierschutzbund

Zusatzmaterial

  1. Opel-Zoo
  2. Zoos im Kontext des Tier- und Artenschutzes
  3. Populations- und Jagdmanagement
  4. Soft Law
  5. Tierwohllabel und ihre Probleme

1. Opel-Zoo

Im Jahre 1956 von Dr. h.c. Georg von Opel gegründet, liegt der Opel-Zoo im Vordertaunus zwischen Kronberg und Königsstein. Im internationalen Verbund beteiligt sich der Zoo an 26 Erhaltungszuchtprogrammen für verschiedene Tiere sowie an zehn Zuchtprojekten zur Wiederansiedlung europäischer und vorderasiatischer Säugetier-, Vogel und Reptilienarten. Opel-Zoo-Direktor Dr. Thomas Kauffels ist zudem der amtierende Präsident der europäischen Zoo- und Aquariengesellschaft EAZA.

https://www.opel-zoo.de/
https://www.eaza.net

Übrigens: Im Rahmen eines „Funkkollegs Extra“ wurde der Zoo, der 2021 seinen 65. Geburtstag feiert, schon ausführlicher vorgestellt: Funkkolleg Extra: Tier-Traum im Taunus – Seit 65 Jahren ist der Opel-Zoo ein Platz für Menschen und Tiere | hr-iNFO | Sendezeiten (hr-inforadio.de)

https://www.hr-inforadio.de/sendezeiten/funkkolleg-extra-tier-traum-im-taunus—seit-65-jahren-ist-der-opel-zoo-ein-platz-fuer-menschen-und-tiere,epg-mo-8102.html

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2. Zoos im Kontext des Tier- und Artenschutzes

Kaiser Franz I. Stephan gründete 1752 mit dem Tiergarten Schönbrunn in Wien den ältesten heute noch bestehenden Zoo der Welt. Damals galten Tiere, vor allem exotische, als Status- sowie Machtsymbol. Ihre Haltung und Zurschaustellung oblag fast ausschließlich dem Adel. Zoos haben ihren Ursprung jedoch nicht erst im 18. Jahrhundert. Funde belegen, dass diese Form der Tierhaltung schon den Ägyptern vor circa 5000 Jahren bekannt war. Ab dieser Zeit gab es zooähnliche Anlagen über den ganzen Globus und in verschiedenen Kulturen, immer in Verbindung mit der Demonstration von Macht und Status.
Erst im Laufe des 20. Jahrhunderts wurde das Tier und sein Wohlergehen ein zentraler Aspekt der Einrichtungen. In der heutigen Zeit gelten Zoos als wichtige Akteure beim Erhalt und der Wiederansiedelung bedrohter Tierarten, als Naturbildungs- und Forschungsstätten sowie als Erholungsorte für die gesamte Bevölkerung.

https://www.zoovienna.at/
https://www.zoovienna.at/ueber-uns/tiergarten-schonbrunn/
https://www.vdz-zoos.org/wissenswertes/historie-von-zoos
https://archive.archaeology.org/1001/topten/egypt.html

Kritiker sehen den Artenschutz und den Bildungsauftrag als Vorwand für die wirtschaftlichen Interessen der Einrichtungen. Zoos seien nicht mehr als Unterhaltungsstätte auf Kosten des Tierwohls. Unter anderem argumentieren sie, dass ein Zoo niemals natürliche Lebensbedingungen schaffen könne und die Tiere, vor allem Menschenaffen und Großkatzen, psychische Schäden erlitten. Zudem sei der Großteil der in Zoos gehaltenen Tiere nicht vom Aussterben bedroht, vielerorts kämen Zootiere aus Wildfängen statt aus Zuchtprogrammen. Trotz aller Kritik können gerade durch die fachliche Kompetenz der Zoos in der Haltung und Zucht von unterschiedlichsten Tieren Erfolge in der Arterhaltung und Wiederansiedlung verzeichnet werden. Beispielsweise leben weltweit der Großteil der Sibirischen Tiger (Panthera tigris altaica) in Zoos und können dort zur Fortpflanzung gebracht werden, während die Wildpopulationen weiterhin gefährdet sind. Auch das europäische Wisent (Bison bonasus), welches seit 1927 in Europa als in der Wildnis ausgerottet gilt, konnte durch Zuchtprogramme in Zoos vermehrt und so auch im Rothaargebirge, welches sich über Hessen und Nordrhein-Westfalen erstreckt, wieder angesiedelt werden. Entscheidend für die Rettung des Wisents mitverantwortlich war übrigens ein Hesse – der frühere Frankfurter Zoodirektor Kurt Priemel.

https://www.fr.de/panorama/zoo-tier-garten-park-artgerecht-haltung-artenschutz-klima-diskussion-13842005.html
https://www.nationalgeographic.de/tiere/2020/08/diskussion-um-deutschlands-zoos-wie-wichtig-sind-tiergaerten-fuer-den-artenschutz
https://www.br.de/radio/bayern1/tierhaltung-zoo-tiergarten-100.html
https://www.dw.com/de/zoos-artenschutz-oder-tierqu%C3%A4lerei/a-16207678
https://www.edit-magazin.de/tiger-eisbaer-und-co.-welche-rolle-spielen-zoos-fuer-den-artenschutz.html
https://www.wisent-welt.de/

Unter der Überschrift „Vermenschlichung als Tierschutzstrategie“ hat sich dieses Funkkolleg in einem Zusatzmaterial zu Folge 1 bereits mit dem Einfluss des Menschen auf den Erhalt von Arten befasst. Zusätzlich thematisieren die Folgen 3 „Ursachen und Dimensionen des Artensterbens“, 16 „Entwicklungsarbeit gegen den Artenschwund“ und 17 „‘Flaggschiffe‘ für erfolgreichen Artenschutz“ Aspekte des aktiven Artenschutzes.

Das Thema des Artenschutzes sowie des Tierwohls im Kontext von Zoos beleuchten sowohl das Format „TabulaRasa“ von „Quarks“ (WDR) als auch das Format „Gut zu wissen“ des Bayerischen Rundfunks in Videobeiträgen.

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3. Populations- und Jagdmanagement

Das gezielte Töten von Wildtieren in der Zucht sowie die gezielte Tötung von Wildtieren in freier Wildbahn sind Teile des Populations- bzw. Jagdmanagements. Beide Praktiken verfolgen das gleiche Ziel: Sie sollen ein Gleichgewicht in vom Menschen beeinflussten Populationen und Ökosystemen schaffen.
In der Zucht besteht häufig das Problem, dass gerade bei kleinen Populationen eine zunehmende Inzucht kaum zu vermeiden ist. Zudem muss ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis vorliegen, um eine langfristige Zucht zu ermöglichen. Zoos und Zuchtprogramme sind meist für den Austausch von zuchtrelevanten Tieren weit vernetzt und gut koordiniert. Nur wenn eine tiergerechte Unterbringung beziehungsweise Auswilderung auf gar keinen Fall gewährleistet werden kann, wird eine möglichst schmerz- und angstfreie Tötung als letztes Mittel und auf keinen Fall leichtfertig in Erwägung gezogen.
Auch das Jagdmanagement findet seine Begründung im negativen Einfluss des Menschen auf die Natur und ihre Gemeinschaften. In den seltensten Fällen finden sich noch stabile, naturbelassene Ökosysteme. Vielerorts können sich invasive Arten wie zum Beispiel der Waschbär (Procyon lotor) in Europa, ungehindert verbreiten und lokale Arten, wie etwa die Sumpfschildkröte (Emys orbicularis), mitunter stark bedrohen. Anderorts können sich gewisse Arten unkontrolliert vermehren, weil aufgrund menschlicher Aktivitäten Konkurrenten oder Räuber fehlen. Beispielsweise wurde der Wolf (Canis lupus) 1926 im Yellowstone-Nationalpark ausgerottet. Untersuchungen zeigten, dass der Wapitihirsch (Cervus elaphus) durch das Fehlen des Prädators einen stärkeren Einfluss auf seine Umgebung ausübte. So gingen etwa die Bestände der Amerikanischen Zitterpappel (Populus tremuloides) zurück. Sie erholten sich jedoch im Einflussgebiet des Wolfes, nachdem dieser 1995 wieder angesiedelt wurde.
Um in die instabilen Ökosysteme doch noch ein gewisses Gleichgewicht zu bringen, werden manche Arten bejagt. Kritisiert wird, dass die Tiere oftmals ohne eine wissenschaftlich geprüfte Begründung bejagt würden und dass nicht ausreichend kontrolliert und koordiniert werde.

https://www.zdf.de/wissen/leschs-kosmos/harald-lesch-jagen-fuer-den-artenschutz-100.html
https://www.zootier-lexikon.org/index.php?option=com_k2&view=item&id=1286:populationsmanagement
https://www.spektrum.de/news/raubtiere-sind-wohl-doch-nicht-wichtigstes-glied-der-nahrungskette/1281663

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4. Soft Law

Bei einem sogenannten Soft Law (deutsch: „weiches Gesetz“) handelt es sich um eine nicht rechtliche bindende Übereinkunft, Leitlinie oder Absichtserklärung. Das bedeutet, dass die Vertragspartner sich zwar auf etwas geeinigt haben, aber bei Nicht-Einhaltung keine Sanktionen, beziehungsweise keine gerichtlichen Konsequenzen fürchten müssen. Diese Form des Abkommens findet sich häufig auf internationaler Ebene. Im Gegensatz dazu steht das sogenannte Hard Law (deutsch: „hartes Gesetz“). Hierbei sind die Beteiligten an die Durchführung rechtlich gebunden und können bei Nicht-Einhaltung mit Sanktionen belegt werden.

https://www.juraforum.de/lexikon/soft-law

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5. Tierwohllabel und ihre Probleme

Ähnlich der Produktsiegel auf pflanzlichen Erzeugnissen oder Lebensmitteln aus Fischen und Meeresfrüchten, sollen Tierwohllabel den Verbraucher bei den jeweiligen Produkten über die Haltungs-, Aufzucht- und Schlachtbedingungen aufklären. Jedoch sind die Vielzahl und die Bewertungskriterien der verschiedenen Label, die meist durch Lebensmittelkonzerne sowie Tierschutz- und Verbraucherorganisationen ins Leben gerufen wurden, ohne ausgiebige Recherche seitens des Verbrauchers nur schwer durchschaubar. Die Kriterien eines Tierwohllabels können unter anderem bei der Art und Qualität des Tierfutters, bei den Haltungsbedingungen (Platz und Bodenaufbereitung im Stall, Auslauf und Tageslicht, Beschäftigungsmöglichkeiten), bei der Verwendung von Antibiotika und bei den Umständen der Schlachtung stark variieren.
Das 2020 eingeführte staatliche Tierwohllabel wurde vorerst nur für Schweine etabliert, soll aber zukünftig auf Rinder und Hühner ausgedehnt werden. Ein Hauptkritikpunkt ist die Unverbindlichkeit der Anwendung des Labels. Die Produzenten können also selbst entscheiden, ob sie das Label auf ihren Produkten präsentieren wollen.

https://www.ndr.de/ratgeber/verbraucher/Tierwohl-Label-Bedeutung-und-Anforderungen,tierwohllabels100.html
https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/tierwohl-kennzeichen/tierwohlkennzeichen.html

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Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.

Die taxonomische Einordnung von Tieren in diesem Zusatzmaterial basiert auf der aktuellen Fassung des Integrated Taxonomic Information System (ITIS) mit letztem Zugriff am 19.05.2021.

Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 19.05.2021 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller & B.Sc. Biol. Lennart Schulte

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