17 „Flaggschiffe“ für erfolgreichen Artenschutz

Autorin: Angelika Fey

Bartgeier und blaue Aras

Es sind Vögel mit Flaggschiffcharakter für den Artenschutz: der Bartgeier, der auch in den Alpen vorkommt, und die südamerikanischen Blauaras. An ihrem Schicksal, das einst negativ besiegelt schien, zeigt diese Funkkolleg-Folge, wie sich bedrohte Arten retten lassen.

Wie etwa bekommt man Bedrohungsursachen in den Griff? Beim Bartgeier, einem charismatischen, harmlosen Aasfresser, war es unter anderem sein schlechtes Image als blutrünstiger Schafs- und Kinderfresser, weshalb man ihn abschoss. Die blauen Aras sind bis heute begehrt auf dem Ziervogel(schwarz)markt. Und doch konnten in beiden Fällen nachgezüchtete Vögel zurück in ihre früheren Verbreitungsgebiete gebracht werden. Beim Bartgeier begann die Rückführung in die Alpen sogar schon 1986. 2015 wurde der Bestand dort wieder auf 220 bis 250 wildlebende Tiere geschätzt.

Wie lange dauert es, bis bedrohte Arten wieder überlebensfähig sind?

Wie funktionieren solche Arterhaltungsprojekte? Welche Möglichkeiten der Arterhaltung gibt es, wer arbeitet dabei zusammen, und wie bekommt man den für einen Erfolg nötigen politischen und gesellschaftlichen Rückhalt? Gibt es im Artenschutz auch Konkurrenz, Kommerzialisierung und moralische Zerrissenheit? Widersetzen sich manchen Arten gar den Erhaltungsprojekten? Existieren möglicherweise noch erfolgreichere Artenschutzstrategien als Erhaltungszucht und Wiederansiedlung? Und sollte man den Begriff Artenschutz überhaupt noch verwenden? Greift er angesichts der systemischen Bedrohungen nicht zu kurz?

Folge 17 anhören:

Sendung in hr-iNFO: 15.05.2021, 11:30 Uhr

Gesprächspartner*innen dieser Folge

  • Dr. Hans Frey, Ornithologe, Eulen- und Greifvogelstation Haringsee (Österreich)
  • Wolfgang Rades, Tiergartenbiologe, Artenschutzbeauftragte des Loro Parque Teneriffa
  • Michael Walther, Tierpfleger, Zoo Frankfurt
  • Anton „Toni“ Wegscheider, Naturführer und Vorsitzender des Landesbunds für Vogelschutz Berchtesgadener Land, Schönau am Königssee

Zusatzmaterial

  1. Wiederansiedelung als Natur und Artenschutzkonzept
  2. Vorurteile
  3. Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen
  4. Neues von Bartgeier und blauem Ara
  5. Indigene Völker: Zwischen Tradition und Naturschutz

1. Wiederansiedelung als Natur- und Artenschutzkonzept

Als Wiederansiedelung bezeichnet man das Einbringen einer Tier- oder Pflanzenart in ein Gebiet, in dem diese einmal heimisch war. Die Wiederansiedelung ist ein wichtiges Werkzeug des Arten- und Naturschutzes, obwohl sie zu diesem Zweck erst als letztes Mittel („Ultima ratio“) genutzt werden sollte. Zuvor sollten alle verfügbaren Maßnahmen ergriffen werden, um Arten in ihrem natürlichen Lebensraum zu erhalten. Eine Wiederansiedelung soll nach den Richtlinien der Weltnaturschutzorganisation (International Union for Conservation of Nature; IUCN) erst dann erfolgen, wenn das Überleben der Art im zukünftigen Siedlungsgebiet sichergestellt ist. Um dies zu erreichen, können Projekte, die von der Renaturierung eines Flusslaufes bis zu einer Akzeptanzkampagne für die lokale Bevölkerung reichen, notwendig werden.

https://www.wwf.de/fileadmin/fm-wwf/Publikationen-PDF/BATAuswilderung_und_Wiederansiedlung.pdf

Durch die Wiederansiedelung von Schlüsselarten (in Folge 3 im Zusammenhang mit der Ökologischen Nische erläutert) können ganze Ökosysteme stabilisiert werden. Das Bundesamt für Naturschutz (BfN) engagiert sich beispielsweise für die Wiederansiedelung der europäischen Auster (Ostrea edulis) in der Nordsee. Die Austernbänke bieten Rückzugsmöglichkeiten für Larven oder Jungfische und können deshalb von Fischen als Kinderstube genutzt werden. Zudem filtert eine Auster täglich bis zu 240 L Meerwasser. So verbessert sie die Wasserqualität und verringert die Gefahr toxischer Algenblüten. Leider ist die erfolgreiche Wiederansiedelung der Austern unter anderem durch die Bodenschleppnetzfischerei gefährdet, weil diese verhindert, dass sich die Muscheln am Grund festsetzen und langfristig halten können. Inzwischen sind mit dem RESTORE-Projekt und der internationalen Initiative NORA Strukturen geschaffen worden, um eine erfolgreiche Wiederansiedelung der Austern zu unterstützen.

https://www.bfn.de/themen/meeresnaturschutz/artenschutzprojekte/wiederansiedlung-der-europaeischen-auster.html

Nicht alle Wiederansiedelungsprojekte sind konfliktfrei. So bewirken zwar die Dämme des in Hessen wieder angesiedelten europäischen Bibers (Castor fiber), dass Wasser länger in der Landschaft verbleibt, allerdings versickert so ungewollt auch mehr Wasser aus Kläranlangen nahe der Trinkwasserbrunnen.

https://www.hessenschau.de/gesellschaft/wie-ein-biber-die-gesundheit-zehntausender-menschen-gefaehrdet,biber-babenhausen-100.html

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2. Vorurteile

Als Vorurteil bezeichnet man die Zuordnung von Menschen oder Tieren zu einem starren und für typisch gehaltenen Denkmuster („Stereotyp“), ohne die Betroffenen genauer zu kennen. Vermutlich ist das Denken über Menschen oder Tiere in Kategorien bis zu einem gewissen Grad hilfreich oder gar notwendig, weil es uns ermöglicht, eine komplizierte Welt zu vereinfachen und effektiv zu handeln. Obgleich die Zuordnung zu Denkmustern zunächst wertneutral ist, wird der Begriff „Vorurteil“ häufig im Kontext negativer Zuschreibungen verwendet.
Falsche negative Zuschreibungen stellen nicht nur im Umgang mit Menschen, sondern auch im Verhältnis zu Tieren ein großes Problem und oft auch eine Gefahr dar. Der Abbau von falschen Vorurteilen ist daher für den Artenschutz von großer Bedeutung.

https://www.deutschlandfunk.de/schubladen-im-kopf-wie-vorurteile-unser-denken-bestimmen.1148.de.html?dram:article_id=371714

Ein Beispiel für die Auswirkungen falscher Vorurteile zeigt der Kanal „Quarks“. In einem Videobeitrag zeigt er experimentell, wie Menschen sich unterbewusst durch falsche Vorurteile beeinflussen lassen.

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3. Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen

Es ist nicht selbstverständlich, dass Naturschutzmaßnahmen eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung finden. So schrieb das Bundesinstitut für politische Bildung (bpb) im Jahr 2007, dass Naturschutzmaßnahmen zunehmend auf geringe Akzeptanz und Ablehnung treffen. Als möglich Ursachen für die Ablehnung von Maßnahmen nannte das bpb unter anderem die subjektive Wahrnehmung von Verlust, Interessenkonflikte mit einzelnen oder einer Gruppe von Menschen und auch Informationsdefizite.

https://www.bpb.de/lernen/grafstat/134845/info-05-03-akzeptanz-von-naturschutzmassnahmen

Im Gegensatz dazu ergab eine Umfrage des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (BMU) und des BfN aus dem Jahr 2015, dass die überwältigende Mehrheit der Deutschen den Naturschutz für eine wichtige politische Aufgabe hält. Allerdings gab auch eine Mehrheit an, der Naturschutz müsse in Krisenzeiten mit weniger Geld auskommen. Und immerhin ein Drittel der Befragten war der Meinung, die Natur sollte wirtschaftlichen Entwicklungen nicht im Wege stehen.

Im Jahr 2021 feiert das „Bundesprogramm Biologische Vielfalt“ sein 10-jähriges Bestehen. Im Rahmen dieses Programms fördert das BMU unterstützt vom BfN Projekte zum Schutz, der nachhaltigen Nutzung und der Entwicklung der biologischen Vielfalt in Deutschland. Mit den Projekten „ProInsekt“ zur Naturbewusstseinsbildung, „Mach’s möglich“ zur Umweltbildung sowie „Next Exit Biodiversity“ zur Sensibilisierung für den Naturschutz sind auch einige neue Projekte dabei, welche die Akzeptanz von Naturschutzmaßnahmen in der Bevölkerung erleichtern sollen.

https://www.bmu.de/pressemitteilung/neue-naturschutz-projekte-zehn-mal-mehr-biologische-vielfalt-vom-bahnhof-bis-zur-kueste/

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4. Neues von Bartgeier und blauem Ara

Der Landesbund für Vogelschutz in Bayern e.V. (LBV) setzt sich seit 1983 gemeinsam mit den Europäischen Erhaltungszuchtprogrammen (EEP) der Europäischen Gesellschaft der Zoos und Aquarien (EAZA) für die Wiederansiedelung des Bartgeiers (Gypaetus barbatus) in Mitteleuropa ein. Vor über 100 Jahren wurde der Bartgeier nicht zuletzt wegen negativer Vorurteile in seinem ursprünglichen Verbreitungsgebiet vollständig ausgerottet. In jüngster Zeit findet er mit der Hilfe von Artenschützern wieder zurück in den Alpenraum. Aktuelle Informationen zu dem Projekt finden sich auf der Website des LBV.

Auch verschiedene Ara-Arten wurden wegen ihres Schnabels und des farbenfrohen Federkleides gejagt oder zum Verkauf als exotisches Haustier gefangen. Nachdem natürliche Populationen, auch aufgrund des Verlusts ihres Lebensraumes, stark gefährdet oder gar vollständig ausgerottet wurden, zeigen verschiedene Zuchtprogramme erste Erfolge. Nun beginnt die Wiederansiedelung in den natürlichen Verbreitungsgebieten der Tiere.

Die Loro Parque Fundación auf Teneriffa begann vor 14 Jahren mit der Zucht des in der Wildnis stark gefährdeten Leararas (Anodorhynchus leari). Die Stiftung konnte in Zusammenarbeit mit einem lokalen Koordinationsteam in Brasilien, geleitet von der Biologin Erica Pacifico, die ersten Tiere erfolgreich überführen und 2019 auswildern.

https://teneriffa.ro/2801/loro-parque-fundacion-fuehrt-weitere-exemplare-des-lear-aras-in-ihren-natuerlichen-lebensraum-in-brasilien-zurueck/

Der Spixara (Cyanopsitta spixii), der seit der Jahrtausendwende als in der Wildnis ausgestorben gilt, wurde unter anderem von der Organisation für den Schutz, den Erhalt und den Aufbau bedrohter Papageienpopulationen e.V. (Association for the Conservation of Threatened Parrots e.V.: ACTP e.V.) durch mühsame Zucht mit den wenigen in Menschenobhut vorhandenen Exemplaren vor dem endgültigen Untergang gerettet. Die Population weist inzwischen wieder 180 Tiere auf. In Zusammenarbeit mit der staatlichen brasilianischen Organisation ICMBio und dem Community-Programm der Region Caatinga im Nord-Osten Brasiliens wurden 2020 die ersten Vögel aus der ACTP-Zuchtzentrale nahe Berlin und dem belgischen Tierpark Pairi Daiza nach Caatinga überführt. Dort werden die Tiere auf ein Leben in der Wildnis vorbereitet, das für die erste Gruppe schon 2021 beginnen soll.

https://www.spixs-macaw.org/
https://www.deutscherpresseindex.de/2020/03/03/weltsensation-der-spix-ara-ist-zurueck/

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5. Indigene Völker: Zwischen Tradition und Naturschutz

Die Deutsche Welle – der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland – begleitet in einem Videobeitrag Naturschützer im Manú Nationalpark. Sie arbeiten dort mit der lokalen Bevölkerung zusammen, um ein Bewusstsein für den Natur- und Artenschutz zu schaffen und nachhaltige Konzepte für das Miteinander von Mensch und Natur zu entwickeln.

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Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.

Die taxonomische Einordnung von Tieren in diesem Zusatzmaterial basiert auf der aktuellen Fassung des Integrated Taxonomic Information System (ITIS) mit letztem Zugriff am 10.05.2021.

Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 10.05.2021 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller & B.Sc. Biol. Lennart Schulte

Zusatzmaterialien als PDF zum Herunterladen