Autorin: Rebecca Hillauer
Wie „neue“ Arten uns Probleme machen
Er ist wunderschön – und ohne menschliches Zutun gäbe es ihn gar nicht. Den Marmorkrebs. Denn erst in den 1990er-Jahren wurde er aus einem anderen Krebs gezüchtet. Heute sind die vermehrungsfreudigen Krustentiere weit verbreitet, und seit Anfang der 2000er-Jahre machen sie sich auch in der Natur breit – Tiere, die ihre Existenz nur dem Menschen und seinen Hobbys verdanken. Hingegen wird der heimische Edelkrebs immer seltener: wegen der Krankheit Krebspest.
Tierische Migrationsgeschichten
Dass die Natur plötzlich mit Tieren konfrontiert ist, die es bis vor Kurzem dort nicht gab, kann noch ganz andere Dimensionen annehmen. Für Aufregung sorgte 2019 etwa das Entweichen gentechnisch veränderter, krankheitsübertragender Mücken aus einer Haltung in Brasilien. Doch das Einwirken des Menschen führt auch zur weiteren Ausbreitung von Tierarten, die es schon gibt. Viele sogenannte Neozoën, vom Plattwurm bis zur Nilgans, erzählen tierische Migrationsgeschichten, deren Motor der Mensch und die von ihm erdachten technischen Hilfsmittel sind.
Die Sendung zeigt, wie es zu solchen Neuausbreitungen kommt und welche Auswirkungen sie auf Ökosysteme, Wirtschaft oder Gesellschaft haben. Kann die Ausbreitung von Neozoën auch wieder rückgängig gemacht werden? Oder sollte man konstruktiv auf sie reagieren? Wovon hängt es ab, ob sich eine neue Artlangfristig etablieren kann? Hängen mit dem Auftreten von Neozoën womöglich auch Chancen zusammen? Und: Wenn die heimische Artenvielfalt vor Zuwanderern geschützt werden soll – welche Maßnahmen werden dazu auf politischer Ebene getroffen und wie können sie wirkungsvoll vollzogen werden?
Folge 15 anhören:
Die Gesprächspartner*innen dieser Folge
- PD Dr. Jürgen Gross, Leiter des Fachgebiets „Angewandte chemische Ömologie“, Julius Kühn-Institut, Dossenheim
- Prof. Dr. Dr. Stefan Kühne, Agrarwissenschaftler und Insektenforscher, Julius Kühn-Institut, Klein-Machnow
- Dr. Stefan M. Linzmaier, Tierökologe, Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei und Freie Universität Berlin
- Dr. Hanno Seebens, Ökologe, Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum (SBiK-F), Frankfurt am Main
- Dr. Heidrun Vogt, Insektenforscherin und Wissenschaftliche Direktorin des Julius Kühn-Instituts, Dossenheim
Zusatzmaterial
- Kartoffelkäfer und Resistenzbildung
- Auftreten von Neozoen
- Invasive Arten
- Mamorkrebse und die Jungfernzeugung
- Arsen und DDT als Pflanzenschutzmittel
- Biologische Schädlingsbekämpfung mit Neozoen
1. Kartoffelkäfer und Resistenzbildung
Der schwarz-gelbe Kartoffelkäfer (Leptinotarsa decemlineata) tritt als Schädling besonders auf Kartoffelfeldern auf. Eine einzige Larve dieses Insekts frisst während ihrer Entwicklung 40 Quadratzentimeter Blattfläche und schädigt so die Kulturpflanzen.
Lange wurde eine Gruppe der Insektizide, die sogenannten Pyrethroide, gegen einen Kartoffelkäferbefall eingesetzt. In den letzten Jahren wird jedoch beobachtet, dass die Insektizide nicht mehr in vollem Maße gegen die Käfer wirken, diese also Resistenzen entwickeln. Neue Ansätze zur Bekämpfung verwenden mehrere Pestizide gegen einen Schädling. Da diese idealerweise aus verschiedenen Stoffgruppen stammen und unterschiedliche Wirkweisen besitzen, wird das Risiko einer Resistenzbildung verringert.
Zudem wird nach neuen Methoden geforscht, Kulturpflanzen für Kartoffelkäfer unattraktiver werden zu lassen. So werden beispielsweise Kartoffelpflanzen gezielt vermehrt, auf denen sich Käferlarven nachweislich schlechter entwickeln.
Man sollte darüber nicht vergessen, dass intensiver Schädlingsbefall auch die Folge des Anbaus monotoner Massenkulturen ist. Vielfältige Fruchtfolgen, Sortenreichtum und intelligent gewählte Mischkulturen sind also ebenfalls wichtige Instrumente im Kampf gegen Schädlinge.
https://www.julius-kuehn.de/media/Institute/ZL/_X_InwertsetzungVielfalt/PDF/Verbesserung_der_Resistenz_gegen_den_Kartoffelkaefer.pdf
https://www.lfl.bayern.de/ips/blattfruechte/072515/index.php
https://www.badische-bauern-zeitung.de/kartoffelkaefer
https://www.transgen.de/aktuell/2631.resistenzen-pflanzenschutz-biotechnologisch.html
2. Auftreten von Neozoen
Als Neozoen versteht man gebietsfremde Tierarten, die vom Menschen eingeführt wurden. Überwiegend wird diese Definition auf Arten beschränkt, die nach 1492 – also nach der Entdeckung der „Neuen Welt“ – eingeführt wurden, so wie es auch für Pflanzen üblich ist. Von den über tausend gebietsfremden Tierarten Deutschlands konnten sich gut 250 so erfolgreich ansiedeln, dass man sie heutzutage zur heimischen Fauna zählen muss.
Ein Beispiel für eine solche Art ist die Schwarzmundgrundel (Neogobius melanostomus). Dieser Fisch kam in dem Ballastwasser von Frachtschiffen nach Europa/Deutschland und verbreitet sich inzwischen in den heimischen Gewässern, unter anderem im Main. Sie wird zu den invasiven Arten gezählt. Wie Menschen in Bayern mit dem neuen Flussbewohner umgehen, beleuchtet der Bayerische Rundfunk in einer Sendung seines Formats „Zwischen Spessart und Karwendel“.
https://www.br.de/wissen/neophyten-neozoen-exoten-eingewandert-fremd-tiere-pflanzen-invasive-arten-100.html
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/neozoen/45904
3. Invasive Arten
Neozoen, die unerwünschte Auswirkungen auf das Ökosystem haben, werden als invasive Arten bezeichnet. Sie treten in ihrer neuen Umgebung in Konkurrenz mit einheimischen Arten, etwa um Lebensraum oder Nahrungsressourcen. Dies kann zu einer Verdrängung der heimischen Arten führen. So können sie Ökosysteme empfindlich stören – insbesondere auch, wenn sie dort keine natürlichen Feinde haben.
https://neobiota.bfn.de/grundlagen/neobiota-und-invasive-arten.html
Als Beispiel für eine invasive Art sei die Quagga-Dreikantmuschel (Dreissena bugensis) genannt. Ursprünglich kommt sie im Mittelmeer vor und wurde von Menschen über Ballastwasser in verschiedene Weltregionen eingeschleppt. So auch in den nordamerikanischen Lake Michigan. Dreikantmuscheln filtern pflanzliches Plankton (sogenanntes „Phytoplankton“) aus dem Wasser, im Falle des Lake Michigan jedoch fünf bis sieben Mal mehr Biomasse als dort überhaupt alljährlich neu entsteht. Damit treten sie in Konkurrenz mit anderen Bewohnern des Sees und rauben ihnen die Lebensgrundlage. Zudem begünstigt die Anwesenheit der Muschel das Wachstum einer bestimmten Alge, deren Absterben nach der Blüte zu erhöhten Konzentrationen von Botulinumtoxin führt.
Dieses Gift wird von Bakterien produziert, welche die toten Algen zersetzen, und kann zu Massensterben von Fischen und fischfressenden Vögeln führen. Außerdem kann es in nicht korrekt konservierter Dosennahrung und Fleischwaren entstehen und führt unter anderem zu Lebensmittelvergiftungen. In der Medizin findet Botulinum A Anwendung bei verschiedenen Krankheitsbildern, allgemein bekannt ist es jedoch unter dem Markennamen Botox im Kontext der Schönheitsbehandlung.
https://www.spektrum.de/news/exotische-muschel-laesst-lake-fishigan-kippen/1045137
https://www.deutsche-apotheker-zeitung.de/daz-az/2000/daz-35-2000/uid-7176
4. Mamorkrebse und die Jungfernzeugung
Als Jungfernzeugung, in der Fachsprache auch Parthenogenese genannt, versteht man eine eingeschlechtliche Fortpflanzung, bei der Nachkommen aus unbefruchteten Eiern entstehen. Man unterscheidet verschiedene Formen der Parthenogenese danach, ob das Ei einen einfachen (haploiden) oder doppelten (diploiden) Chromosomensatz hat, welches Geschlecht die daraus entstehenden Nachkommen haben und, ob diese Form der Vermehrung regelmäßig bei einer Tierart vorkommt. Parthenogenese ist vor allem bei Insekten verbreitet. Ein bekanntes Beispiel ist die Entstehung von Drohnen – also männlichen Bienen – aus unbefruchteten Eiern der Königin.
Doch auch bei anderen Tiergruppen kann Parthenogenese beobachtet werden. Der Marmorkrebs (Procambarus virginalis), der erst 2017 als eigene Tierart beschrieben wurde, pflanzt sich ausschließlich durch Weibchen fort. Alle Tiere sind genetisch exakt gleich und wohl vor etwa 30 Jahren aus einem einzigen Muttertier entstanden. Entwickelt hat sich diese Art aus dem Everglades-Sumpfkrebs (Procambarus fallax), der jedoch beide Geschlechter zur Fortpflanzung benötigt.
Obwohl alle Marmorkrebse exakt identische Erbinformationen haben, weisen die Individuen erhebliche Unterschiede auf. Weltweit sind sie so gut an verschiedene Habitate angepasst, dass sie vielerorts als invasive Art gelten. Diese Flexibilität führt die Wissenschaft auf epigenetische Veränderungen zurück – Abwandlungen also, welche die Aktivität von Genen aber nicht das Genom an sich verändern. Der Marmorkrebs könnte ein Modelltier für die Erforschung von Krebserkrankungen werden, da hierbei auch epigenetische Faktoren eine große Rolle spielen.
https://www.dkfz.de/de/presse/pressemitteilungen/2015/dkfz-pm-15-48-Ein-Krebs-fuer-die-Krebsforschung.php
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/parthenogenese/49650
https://www.br.de/wissen/marmorkrebs-neozoen-tiere-exoten-eingewandert-invasive-arten-100.html
5. Arsen und DDT als Pflanzenschutzmittel
Arsen ist ein giftiges Halbmetall, welches wegen seiner guten Wirksamkeit gegen Pflanzenschädlinge Verwendung fand, bis es 1976 verboten wurde. Für den Menschen sind einige Verbindungen hoch toxisch, krebserregend, können Missbildungen verursachen oder zu Mutationen führen. Außerdem kann Arsen auch für andere Nicht-Zielorganismen schädlich sein, das Pflanzenwachstum beeinträchtigen und sich möglicherweise über die Nahrungskette in Tieren anreichern.
Auch Dichlordiphenyltrichlorethan (DDT) wurde wegen seiner hohen Wirksamkeit und vor allem seiner geringen Giftigkeit für Säugetiere lange zur Bekämpfung von Insekten verwendet. Seit 1972 darf DDT in Deutschland allerdings nicht mehr ausgebracht werden, da zuvor erhebliche Bedenken an dem Mittel weltweit aufgekommen waren. Es wurde gezeigt, dass sich DDT wegen seiner Stabilität und Fettlöslichkeit über die Nahrungskette in Tieren und Menschen anreichert. Außerdem können DDT sowie einige seiner Abbauprodukte eine hormonähnliche Wirkung entfalten. DDT führt ferner bei Greifvögeln zu dünneren Eischalen und wird vom Umweltbundesamt als krebserregend eingestuft. Es darf nach der Stockholmer Konvention von 2004 nur noch zur Bekämpfung von krankheitsübertragenden Insekten eingesetzt werden.
https://www.umweltprobenbank.de/de/documents/profiles/analytes/10047
https://www.umwelt.niedersachsen.de/startseite/themen/wasser/grundwasser/grundwasserbericht_niedersachsen/grundwasserbeschaffenheit/guteparameter/erganzungsprogramm_des_nlwkn/arsen/Arsen-137642.html
https://www.chemie.de/lexikon/DDT.html
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/ddt/16999
6. Biologische Schädlingsbekämpfung mit Neozoen
Manche Neozoen wurden und werden eingeführt, um Schädlinge ohne Einsatz von chemischen Mitteln bekämpfen zu können. Das ist allerdings sehr riskant, weil sich weder die Populationsentwicklung noch die ökosystemare Wirkung dieser Tiere abschätzen geschweige denn kontrollieren lässt.
In Australien sollte zum Beispiel die Aga-Kröte (Rhinella marina) helfen, die dortigen Zuckerrohrplantagen von Schädlingen zu befreien. Die Art siedelte sich dort erfolgreich an, ohne einen Effekt auf die Schädlinge zu haben, wurde jedoch durch ihre rasche Ausbreitung und ihr tödliches Gift zu einer Gefahr für die heimische Tierwelt. Um diese Tiere vom Fressen der Kröte abzuhalten, wird in Australien nun eine Aga-Kröten-Wurst produziert und mit einem übelkeitserregenden Salz versetzt. Der Aga-Geruch in Kombination mit der Übelkeit soll bei den krötenfressenden Arten zu einem Lerneffekt führen – mit Erfolg: Laut ersten Tests machen bis zu 70 Prozent der Tiere nach dem Genuss einer solchen Wurst einen Bogen um die gleich riechende Kröte.
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/biologische-schaedlingsbekaempfung/8692
https://www.n-tv.de/panorama/Australien-macht-Wurst-aus-Aga-Kroeten-article19092401.html
https://www.welt.de/wissenschaft/umwelt/article10520169/Die-Invasion-giftiger-Riesenkroeten.html
Es werden jedoch nicht nur Neozoen zur biologischen Schädlingsbekämpfung eingesetzt. Inzwischen nutzt man viele natürlich vorkommende Feinde von Schädlingen zu deren Bekämpfung.
Der Sender ARTE sowie der Bayerische Rundfunk haben sich mit der biologischen Schädlingsbekämpfung befasst und von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.
Die taxonomische Einordnung von Tieren in diesem Zusatzmaterial basiert auf der aktuellen Fassung der Global Biodiversity Information Facility (GBIF) mit letztem Zugriff am 20.04.2021.
Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 20.04.2021 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller & B.Sc. Biol. Lennart Schulte