Autorin: Wiki Katopi
Lieblingsmenschen auf vier Pfoten
Für Millionen von Deutschen ist ein Leben ohne Haustier undenkbar. Problematisch wird es allerdings, wenn die Besitzer*innen ihre Tiere behandeln wie Menschen. Wenn sie von ihnen ein Verhalten erwarten, das dem eigenen entspricht. Die Grenzen zwischen gesunder und vermeintlicher Tierliebe sind dabei fließend: Ist es bereits bedenklich, wenn ein Tier den Namen eines verstorbenen Angehörigen trägt, abends einen Pyjama angezogen und einen Thunfischkuchen an Weihnachten gebacken bekommt?
Mensch liebt Tier – was heißt artgerecht?
Definitiv in die Schieflage geraten ist die Beziehung zwischen Mensch und Tier, wenn Haustiere übergewichtig werden und dadurch an Krankheiten wie Arthrose und Diabetes leiden. Dann wird aus der Tierliebe eine Belastung für die Tiere, die wir doch so artgerecht wie möglich halten sollen. Doch was heißt artgerecht überhaupt? Ist es gerechtfertigt, zugunsten des menschlichen Wohlbefindens Abstriche auf Kosten der Tiere zu machen? Und wie sieht es mit Therapiehunden, -pferden oder -delfinen aus, die zum Beispiel dabei helfen, dass Patienten dank Körperkontakt Ängste abbauen können? Sind Tierroboter eine Alternative?
Und woran liegt es eigentlich, dass manche Tiere unsere Seele stärker berühren als andere? Während wir Hunde und Katzen bis zu ihrem Tod mit Liebe überschütten, schauen viele Menschen weg, wenn Nutztiere in Massen gehalten und getötet werden. Ein Widerspruch? Denn der Tod von Haustieren spielt in unserer Gesellschaft eine immer größere Rolle. Begrub man früher dein totes Haustier im Garten oder ließ es beim Tierarzt, gibt es heute immer mehr Tierfriedhöfe und Tierkrematorien sowie Bestattungsunternehmen oder Trauerredner, die sich auf Tiere spezialisiert haben.
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Gesprächspartner*innen dieser Folge
- Prof. Dr. Andrea Beetz, Psychologin, IUBH-Fernuniversität Erfurt
- Prof. Dr. Peter Kunzmann, Tierethiker und Philosoph, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
- Bettina Mutschler, Hundeerziehungsberaterin, Ani.Motion-Institut für tiergestützte Therapie, Sasbachwalden
- Prof. Dr. Sandra Wesenberg, Sozialwissenschaftlerin, Alice-Salomon-Hochschule Berlin / Technische Universität Dresden
- Rainer Wolhfarth, Psychologe, Ani.Motion-Institut für tiergestützte Therapie, Sasbachwalden, und Präsident der Europäischen Gesellschaft für tiergestützte Therapie
Zusatzmaterial
- Haustiere beeinflussen Körper und Geist
- Die Beziehung zwischen Kind und Tier
- Oxytocin, das “Kuschelhormon”
- Anthropomorphismus
- Die Asymmetrie im Mensch-Tier-Verhältnis
- Green Care
- Social Farming
1. Haustiere beeinflussen Körper und Geist
Menschen sind in der Lage, starke Gefühle für ihre tierischen Freunde zu entwickeln. Forscherinnen konnten 2011 eine Gehirnregion identifizieren, in der Nervenzellen vorwiegend auf Tiere reagieren. Auch durch das in Folge 1 erwähnte Kindchenschema werden in uns positive Gefühle hervorgerufen, die dabei helfen, eine Bindung zu Tieren aufzubauen. Eine andere Studie zeichnete die Gehirnaktivität von Müttern auf, die sich eigene und fremde Kinder sowie Hunde ansahen. Dabei erzeugten eigene Hunde eine ähnliche Hirnaktivität wie eigene Kinder. Wieder andere Forscherinnen fanden heraus, dass ein Haustier je nach Grad der emotionalen Bindung auch als emotionale Stütze dienen und physische Stressfaktoren beeinflussen kann.
https://www.spektrum.de/news/warum-wir-haustiere-lieben/1427923
2. Die Beziehung zwischen Kind und Tier
Schon kleine Kinder interessieren sich für Tiere. So zeigte eine Studie aus dem Jahr 2013, dass sich Kleinkinder länger mit Tieren beschäftigen als mit Spielzeug. Dabei war es egal, um welches Tier es sich handelte.
Prof. Dr. Uwe Kotrschal, Verhaltensbiologe an der Universität Wien, berichtet in einem Interview mit GEO darüber, dass Babys das Interesse an Tieren schon im Alter von wenigen Monaten entwickeln. Dies ist die Basis für die spätere Bildung einer differenzierteren emotionalen Bindung zu manchen Tieren, beispielsweise zu Lieblingstieren. Er ist sich sicher, dass auch Menschen, die keine Tiere mögen, als Kinder Interesse an Tieren zeigten und dieses später verloren haben.
https://www.spektrum.de/news/warum-wir-haustiere-lieben/1427923
https://www.geo.de/magazine/geo-wissen/17807-rtkl-verhaltensbiologie-was-tiere-uns-schenken-und-wir-ihnen
Einige interessante Videobeiträge von Quarks
3. Oxytocin, das “Kuschelhormon”
Bei Oxytocin handelt es sich um einen körpereigenen Botenstoff – ein Hormon. Es wird bei Wirbeltieren im Gehirn gebildet. Bei weiblichen Säugetieren löst die Ausschüttung von Oxytocin die zur Geburt nötigen Wehen aus, weshalb es auch in der Geburtshilfe Anwendung findet. Außerdem führt es zum Milcheinschuss in der Brust und wirkt schmerz- sowie stressmindernd.
https://www.spektrum.de/lexikon/neurowissenschaft/oxytocin/9373
Es gibt viele Studien, die dem Hormon weitere Wirkungen zusprechen. So weist eine Bonner Studie darauf hin, dass Oxytocin soziales Verhalten fördert und partnerschaftliche Treue erhöht. Weiterhin soll Oxytocin bewirken, dass Angehörige der eigenen Gruppe anderen Individuen vorgezogen werden.
https://www1.wdr.de/wissen/mensch/oxytocin-fremdenfeindlichkeit-100.html
https://www.welt.de/gesundheit/psychologie/article130360396/Die-dunklen-Seiten-des-Kuschelhormons-Oxytocin.html
Experimente an Tieren zeigten weiterhin, dass Oxytocin einerseits die sexuelle Erregung reguliert und fürsorgliches Verhalten fördert, andererseits aber auch Lern- und Gedächtnisleistungen hemmt.
https://www1.wdr.de/wissen/mensch/oxytocin-fremdenfeindlichkeit-100.html
4. Anthropomorphismus
Informationen zum Thema Anthropomorphismus sind in den Zusatzmaterialien der Folge 1 enthalten.
5. Die Asymmetrie im Mensch-Tier-Verhältnis
Die Asymmetrie im Verhältnis zwischen Menschen und Tieren beschäftigt die Forscher*innen der Human-Animal Studies. Die Bundeszentrale für politische Bildung fasst unter der Überschrift „Gesellschaft und Tiere – Grundlagen und Perspektiven der Human-Animal Studies“ den aktuellen Forschungsstand zu diesem Thema zusammen und listet einige weiterführende Links zur Vertiefung des Themenkomplexes. Im Kontext des Funkkollegs ist vor allem der Abschnitt über „Das Mensch-Tier-Verhältnis als Herrschafts- und Gewaltverhältnis“ interessant.
6. Green Care
Der Begriff steht für Maßnahmen der Therapie und Förderung von Menschen (sog. „Interventionen“), für die Tiere, Pflanzen oder unbelebte Dinge aus der Natur genutzt werden. Green-Care-Interventionen umfassen Aktivitäten, die Menschen zielgerichtet physisch, psychisch, sozial oder pädagogisch helfen. Sie können für unterschiedliche Zielgruppen mit verschiedensten Absichten und Motiven genutzt werden. Green Care kann beispielsweise dazu dienen, psychisch Erschöpften eine Auszeit zu ermöglichen oder Menschen mit körperlicher, seelischer oder geistiger Beeinträchtigung durch Arbeit mit Tieren oder Pflanzen zu integrieren. Das Lernen von Kindern in und mit Natur fällt ebenfalls in diesen Bereich.
https://www.anl.bayern.de/publikationen/anliegen/doc/an39103stanley_2017_green_care.pdf
Ein Beispiel für eine Green Care Intervention ist die soziale Landwirtschaft, auch Social Farming genannt (siehe unten).
https://www.greencare-oe.at/ueber-green-care+2500++1000078+1028
Außerhalb Deutschlands kommen dem Begriff auch andere Bedeutungen zu.
7. Social Farming
Das Social Farming, auch soziale Landwirtschaft genannt, bindet die verschiedensten Personengruppen in (meist) therapeutischer Absicht in die Arbeitsabläufe der Landwirtschaft ein. Dazu zählen Drogenabhängige, Straffällige, Langzeitarbeitslose sowie Menschen mit körperlicher, seelischer oder geistiger Beeinträchtigung. Die Landwirtschaft bietet ihnen den Rahmen für sinnvolle Beschäftigung und ein soziales Miteinander. Die Teilnehmenden können lernen, selbständig zu arbeiten, sich weiterzuentwickeln und zu „wachsen“. Soziale Landwirtschaft kann aber auch pädagogische Ziele verfolgen: So wird auf Kindergartenbauernhöfen oder Jugendfarmen durch die Mitwirkung an landwirtschaftlichen Abläufen ein Bezug zur Natur und ihren Lebewesen hergestellt.
http://www.soziale-landwirtschaft.de/startseite/
http://www.sofar-d.de/
Die soziale Landwirtschaft verfolgt ein anderes Ziel als die vom Wortlaut ähnliche, solidarische Landwirtschaft“, bei der mehrere private Haushalte die Kosten eines landwirtschaftlichen Betriebs übernehmen, bei Bedarf mit anpacken und dafür dessen Ernteerträge erhalten.
Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.
Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 20.01.2021 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller