Autorin: Anne Baier
Geformt und beherrscht?
Einerseits rottet der Mensch Tiere aus, andererseits züchtet er beständig neue: Haustiere – optimierte Geschöpfe, die besser zu seinen Bedürfnissen passen. Ihre Vielfalt ist groß, reicht von den verschiedenen Hunde- und Katzenrassen über Mastschweine und Zuchtbullen bis zu besonders schön singenden Kanarienvögeln und fluoreszierenden Fischen.
Liegt bei manch überzüchteter Haustierform die Frage auf den Lippen, ob es so etwas überhaupt geben muss, verbergen sich hinter anderen wahre Multitalente. So sind Hunde nicht nur die „ältesten Freunde der Menschen“, sondern sie suchen auch Lawinenopfer oder erschnüffeln Drogen und sogar Leichen. Hausschweine hüten Schafe, finden Trüffel und liefern Fleisch. Aber auch Ratten und sogar Insekten haben längst Jobs für die Menschen übernommen.
Wie sieht ein guter Umgang mit Haustieren heute aus?
Der Prozess, der solche Wunderwesen hervorbringt, heißt Domestikation. Welche Methoden und geschichtlichen Wurzeln liegen ihr zugrunde? Ab wann ist ein Tier überhaupt domestiziert? Ist es schon der Löwe im Zoo – oder ist der noch ein Wildtier? Welche Folgen hat die Domestikation für Tier – und Mensch? Wo überschreitet die Zucht ethische Grenzen? Und wie sollte der Zootierhandel sinnvoller Weise mit der „Ware Haustier“ umgehen, damit angesichts des Kommerzes die Würde des Tieres gewahrt bleibt?
Der Verzicht auf Haustiere erscheint uns unvorstellbar, doch was macht sie so unentbehrlich?
Folge 4 anhören:
Gesprächspartner*innen dieser Folge
- Dr. Markus Dietz, Leiter des Instituts für Tierökologie und Naturbildung, Laubach-Gonterskirchen
- Prof. Dr. Peter Kunzmann, Tierethiker und Philosoph, Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover
- Dr. Mario Ludwig, Biologe, Journalist und Sachbuchautor, Karlsruhe
- Matthias Mai, Zoofachhändler, Frankfurt am Main
- Prof. Dr. Richard David Precht, Philosoph, Berlin
- PD Dr. Irina Ruf, Leiterin der Abteilung Mammalogie (Säugetierkunde), Senckenberg Forschungsinstitut und Naturmuseum, Frankfurt am Main
- Antje Schreiber, Pressesprecherin des Zentralverbands Zoologischer Fachbetriebe e. V. (ZZF), Wiesbaden
- Zoë, Hundehalterin, Gaukönigshofen
Zusatzmaterial
- Woher kommen unsere Haustiere?
- Das Haustiersyndrom
- Was ist eine Art?
- Was ist eine Rasse?
- Fleisch und die Entwicklung des menschlichen Gehirns
- Was ist ein Tier wert?
- Ausgesetzte Haustiere als Umweltschädlinge
- Buchtipps
1. Woher kommen unsere Haustiere?
Wann, wo und vor allem welche der wildlebenden Vorfahren unserer heutigen Haus- und Nutztiere erstmalig vom Menschen domestiziert wurden, interessiert Forscherinnen weltweit. Um diese Fragen zu klären, werden heutzutage zuerst die Genome, also die Gesamtheit des Erbgutes, der jeweiligen Haus- und Nutztiere analysiert. Anschließend vergleichen die Forscherinnen diese Genome mit denen heute lebender Wildtierarten und auch mit denen fossiler Tiere. Aus den Unterschieden und Gemeinsamkeiten lassen sich dann mögliche Abstammungs-, Verwandtschafts- und Kreuzungsbeziehung ableiten. Insbesondere beim Vergleich mit fossilen Tieren hängt die Aussagekraft solcher Analysen aber von der Qualität und der Anzahl der Proben ab.
Nachfolgende Quellen gehen noch näher auf die Domestizierung einzelner Tierarten ein.
https://www.deutschlandfunk.de/wildes-erbe-genforscher-rekonstruieren-die-domestizierung.676.de.html?dram:article_id=329974
https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/domestikation-der-pferde-lief-anders/
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/domestizierung-des-wolfes-wie-der-mensch-auf-den-hund-kam
https://www.deutschlandfunk.de/geschichte-der-nutztiere-vom-auerochsen-zum-hausrind.676.de.html?dram:article_id=453771
https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2017/06/katzen-haben-sich-selbst-domestiziert
Außerdem stellt hr-iNFO-Wissenswert in der Podcastfolge „Eier, Fleisch und schöne Federn – Von Hühnern und Menschen“ eines unserer wichtigsten Haustiere näher vor: das Huhn.
2. Das Haustiersyndrom
Viele unserer Haus- und Nutztiere ähneln sich in ihrem Verhalten und in ihrem Körperbau. Verbreitet sind zum Beispiel Flecken als Fellmuster oder ein Äußeres, das dem Kindchenschema (siehe Folge 1) entspricht. Zudem haben sie meist ein relativ kleines Gehirn und vor allem eine grundlegende Zahmheit gegenüber dem Menschen. Es gibt die Theorie, dass letztere auf Veränderungen in der Entwicklung des Nerven- und Hormonsystems basiert. Die gezielte Förderung der Zahmheit soll demnach unter anderem die Herausbildung der anderen genannten Eigenschaften von Haustieren begünstigt haben. Trifft die Theorie zu, würde sich jedes unserer Haustiere schon in seinen frühen Entwicklungsphasen erkennbar von den wildlebenden Vorfahren unterscheiden.
https://www.spektrum.de/news/die-ursache-der-haustierdegeneration/1300799
3. Was ist eine Art?
Bei dieser Frage können sich die Biolog*innen nicht einigen, außer darauf, dass es womöglich keine einheitliche Antwort gibt. Seit langer Zeit versucht die Wissenschaft alle Lebewesen mittels unterschiedlicher Kriterien in ein einheitliches System einzugliedern. Aber noch immer sind die Definition einer Art und die dafür genutzten Kriterien je nach Organismengruppe (etwa Tiere oder Bakterien) und wissenschaftlichem Kontext sehr unterschiedlich. Beispielsweise können äußere und innere Körpermerkmale, die Fähigkeit zur Erzeugung fruchtbarer Nachkommen, aber auch der Grad an genetischer Ähnlichkeit als Kriterien herangezogen werden.
Als Beispiel sei das biologische Artkonzept genannt: Danach bilden diejenigen Individuen eine Art, bei denen die Geschlechtspartner fruchtbare Nachkommen erzeugen können. So sind zum Beispiel Hauspferd (Equus caballus) und Hausesel (Equus asinus) deshalb als verschiedene Arten zu betrachten, weil sie sich zwar miteinander paaren können, diese Nachkommen (Maultiere und Maulesel) aber untereinander nicht zeugungsfähig sind. Ein ähnliches Phänomen gibt es auch bei der Kreuzung von Tigern (Panthera tigris) und Löwen (Panthera leo) in Menschenobhut.
https://www.bionity.com/de/lexikon/Art_%28Biologie%29.html
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/art/902
4. Was ist eine Rasse?
Vertreter einer Tierart, die sich in äußeren Merkmalen unterscheiden, werden oft als Rassen bezeichnet (Entsprechung bei Nutzpflanzen: Sorten). Obgleich der Begriff durch die inakzeptable und sachlich verfehlte Anwendung auf den Menschen zu Recht in Verruf geraten ist, findet er bei Haus- und Nutztieren noch breite Anwendung. Bei Wildtieren spricht man eher von „Unterarten“. Allerdings sind diese beiden Begriffe nicht völlig deckungsgleich. Beispielsweise wird der Haushund (Canis lupus familiaris) als eine Unterart des Wolfes (Canis lupus) nochmals in Rassen unterteilt. Dem gegenüber stehen beispielhaft die ostafrikanischen Buntbarsche (Cichlidae) im Victoriasee. Bei diesen sind die genetischen Unterschiede zwischen verschiedenen Arten oft geringer als zwischen verschiedenen Hunderassen. Dies weist – neben der missbräuchlichen Verwendung – auf ein weiteres Problem des Rassekonzepts hin: Es gibt keine allgemein akzeptierten Regeln dafür, wie groß die Merkmalsunterschiede für die Unterscheidung verschiedener Rassen sein müssen.
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/rasse/9662
https://www.biologie-seite.de/Biologie/Unterart
https://www.laborjournal.de/editorials/1825.php
https://www.spektrum.de/lexikon/biologie/menschenrassen/42123
5. Fleisch und die Entwicklung des menschlichen Gehirns
In der Entwicklungsgeschichte des Menschen war die Nutzbarmachung von Fleisch als Energie- und Nährstoffressource ein wichtiger Meilenstein, sagen viele Wissenschaftler*innen. Zuerst Werkzeuge und später auch der Gebrauch von Feuer machten das schwer zu zerkleinernde und zu verdauende Fleisch für die Frühmenschen zu einem wesentlich effizienteren Energie- und Nährstofflieferanten als viele pflanzliche Produkte. Des Weiteren enthalten tierische Produkte für den Menschen meist ein besseres Verhältnis von Nährstoffen und sind teilweise einfacher vom Körper verwertbar. Damit war der Konsum von Fleisch vermutlich ein entscheidender Faktor für die Entwicklung des modernen Menschen, vor allem für die Entwicklung seines Gehirns. Dennoch wurden Pflanzen als Nahrungsquelle keineswegs überflüssig. Denn eine weitere Theorie besagt, dass im späteren Verlauf der menschlichen Entwicklung die effizientere Aufnahme von pflanzlicher Stärke, bedingt unter anderem durch deren Zubereitung, entscheidend für die Versorgung des größer werdenden Gehirns war. Auch bei den Frühmenschen war also vermutlich eine ausgewogene Ernährung aus pflanzlicher und tierischer Kost entscheidend.
https://www.wissenschaft.de/geschichte-archaeologie/machte-uns-fleisch-erst-zum-menschen/
https://www.scinexx.de/news/medizin/fruehmenschen-schlau-durch-staerke/
https://www.quarks.de/gesundheit/ernaehrung/ist-tierisches-eiweiss-wirklich-besser/
6. Was ist ein Tier wert?
Diese Frage ist nicht eindeutig zu beantworten, denn die Antwort hängt von vielen und für jeden von uns verschiedenen Faktoren ab. Dazu gehören beispielsweise Kultur, Religion, Moralvorstellungen oder das Lebensalter. Ebenfalls eine Rolle spielt, ob es sich bei dem betrachteten Tier um ein Haus- oder Wildtier handelt. Die Diskussion über die Rechte und den Schutz von Tieren sowie über deren Empfindungspotenzial ist heute in Forschung und Gesellschaft präsenter denn je. Die folgenden Links geben einen kleinen Einblick:
https://www.bpb.de/apuz/75810/bedeutung-des-tieres-fuer-unsere-gesellschaft?p=all#footnodeid_1-1
https://www.tierwelt.ch/news/haustiere/der-wert-von-tieren
https://www.spektrum.de/news/moralexperiment-fuer-kinder-ist-ein-hund-so-viel-wert-wie-ein-mensch/1813748
https://www.mensch-heimtier.de/magazin-menschtier/beitrag-menschtier/news/detail/News/kulturelle-unterschiede-in-der-einstellung-zu-heimtieren.html
https://www.deutschlandfunkkultur.de/tierrechte-die-artangehoerigkeit-sollte-keine-rolle-spielen.2162.de.html?dram:article_id=421159
https://www.nationalgeographic.de/wissenschaft/2019/12/fuehlen-tiere-schmerzen-so-wie-wir
7. Ausgesetzte Haustiere als Umweltschädlinge
Immer wieder kommt es vor, dass Tierarten außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebiets als Haus- oder Heimtiere gehalten werden und dann ihren Halterinnen entkommen oder von diesen ausgesetzt werden. Problematisch wird es, wenn sich solche Arten dauerhaft etablieren, also in der Natur überleben und sich fortpflanzen können. Man spricht dann von Neozoen („Neutieren“) oder invasiven Arten. Ein Beispiel ist die Rotwangen-Schmuckschildkröte (Trachemys scripta elegans). Eingeschleppt aus Nordamerika und von Halterinnen in Gewässern Europas ausgesetzt, vermehrt sie sich dort zunehmend und bedroht heimische Arten sowie die Stabilität der jeweiligen Ökosysteme. Ein weiteres Beispiel ist der Halsbandsittich (Psittacula krameri), welcher aus Afrika und Asien eingeschleppt wurde. Dieser und weitere Ziervogelarten haben sich mittlerweile vor allem im Bereich europäischer Großstädte etabliert und konkurrieren dort mit einheimischen Arten um Nistplätze.
Folge 15 des Funkkollegs „Mensch und Tier“ wird sich der Neozoen-Problematik vertiefend zuwenden.
https://www.testudowelt.de/?p=9709
https://www.n-tv.de/wissen/Papageien-erobern-Europas-Staedte-article15821521.html
http://www.naturtipps.com/neozoen.html
8. Buchtipps
- CHALINE, Eric (2014): 50 Tiere, die unsere Welt veränderten. Bern: Haupt-Verlag, EUR 29,90. ISBN: 978-3-258-07855-7
- LUDWIG, Mario (2019): Tierische Jobs. Geschichten aus der Tierwelt. Darmstadt: wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG), EUR 18. ISBN: 978-3-806-23964-5
- PRECHT, Richard David (2016): Tiere denken. Vom Recht der Tiere und den Grenzen des Menschen. München: Goldmann Verlag, EUR 22,99. ISBN: 978-3-442-31441-6
Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.
Die taxonomische Einordnung von Tieren in diesem Zusatzmaterial basiert auf der aktuellen Fassung des Integrated Taxonomic Information System (ITIS) mit letztem Zugriff am 13.01.2021.
Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 13.01.2021 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller