20 Was Kinder wirklich über Tiere lernen sollten

Autorin: Judith Kösters

Aus für die lustige Safari?

Egal ob Stadt- oder Landkinder, mit Tieren wachsen sie alle auf – zumindest in Bilderbüchern. Etwa mit Lars, dem kleinen Eisbären, oder mit der Raupe Nimmersatt. Und auch Sachbücher über Tiere gibt es für Kinder jede Menge: Über die Kühe auf der Weide, die von dem freundlichen Bauern in den Stall geführt und gemolken werden. Über die Eisbären am Nordpol natürlich. Und über die Löwen, Giraffen und Nashörner, die durch die endlosen Weiten der afrikanischen Savanne streifen und dabei anderen spannenden Tieren begegnen – Menschen allerdings eher selten, vielleicht ein paar netten afrikanischen Rangern, oder auch: Mama, Papa, Mia und Tim aus Deutschland, die in ihren lustigen Tropenhüten auf Safari unterwegs sind.

Das Artensterben im Kinderbuch abbilden?

Implizit wird so die Botschaft transportiert: „So ist die Welt, so sind die Tiere, und so wird es immer bleiben.“ Viel zu selten geht es darum, dass jede achte Art vom Aussterben bedroht ist. Und dass viele Lebensräume sich durch die Aktivitäten der Menschen, durch Rodung, landwirtschaftliche Nutzung und die Ausbeutung von Ressourcen, gerade massiv verändern, dass sie schrumpfen und verschwinden. Und dass wir Menschen es aber genauso in der Hand haben, diese Entwicklungen zu stoppen, zu gestalten und umzukehren.

Wie lässt sich begreifen, was es heißt, wenn die einzelnen Bausteine eines Ökosystems wegbrechen? Welches Verhältnis zu Natur und Tieren wollen wir Kindern und Jugendlichen künftig vermitteln, in Kinderbüchern und im Biologie-Unterricht? Wie können Zoos und Bildungseinrichtungen konkret mit dem Artensterben umgehen, ohne den Menschen die Freude an der Tierwelt zu nehmen?

Folge 20 anhören:

Sendung in hr-iNFO: 05.06.2021, 11:30 Uhr

Gesprächspartner*innen dieser Folge

  • Prof. Dr. Andrea Möller, Leiterin des Österreichischen Kompetenzzentrums für Didaktik der Biologie, Universität Wien (Österreich)
  • Judith Witzel, Ravensburger Buchverlag, Ravensburg
  • Prof. Dr. Hans-Peter Ziemek, Biologie-Didaktiker, Justus-Liebig-Universität Gießen

Zusatzmaterial

  1. (Post-)Kolonialismus und Naturschutz
  2. Entfernung von der Natur
  3. Heuschreckenschwärme
  4. Mensch und Natur – gestern, heute, morgen
  5. Sind Entscheidungen geschlechtsspezifisch?

1. (Post-)Kolonialismus und Naturschutz

Mit der Ankunft Christoph Kolumbus in Amerika begann das Zeitalter des Kolonialismus und der Globalisierung. Europäische Großmächte wie Großbritannien, Frankreich, Spanien, aber auch Deutschland errichteten Kolonien in Afrika, Amerika und Südostasien. Teils durch Gewalt oder nachteilige Kaufverträge, fast ausschließlich zu Ungunsten der Ureinwohner, vereinnahmten die Europäer Land und Leute, aber auch Bodenschätze und die dortige Flora und Fauna.
Fasziniert von der für sie neuartigen Natur begannen viele Kolonialherren, Naturparks und -schutzgebiete zu errichten, um die Lebensräume vor den Einflüssen der Kolonialisierung zu schützen. Ein Großteil der Landschaft wurde aufgrund ökonomischer und landwirtschaftlicher Interessen umgeformt und ein Großteil der Wildtiere für Trophäen etc. bejagt. Die Errichtung der Naturparks erfolgte jedoch nicht aus naturschützerischen Absichten oder um sie als Lebensgrundlage zu konservieren, sondern meist, um vor allem Europäern und deren Siedlern Jagdgebiete und Attraktionen zu bieten. So ist es oft auch heute noch. Beispielsweise ging im Jahre 2015 ein Foto um die Welt, auf dem ein amerikanischer Arzt hinter dem Löwen Cecil aus dem Hwange-Nationalpark in Simbabwe posiert, den er gegen Zahlung von circa 46.000 Euro unter fragwürdigen Umständen erlegte.
Die Gründung von Naturreservaten, wie zum Beispiel des Yellowstone-Nationalparks in den Vereinigten Staaten von Amerika oder des Selous-Wildreservats in Tansania, erfolgte meist nach der Vertreibung und Ermordung der lokalen Ureinwohner oder durch starke Einschränkungen ihrer Lebensweise. Dabei lebten diese oftmals seit Jahrhundert in den Gebieten, ohne sie nachhaltig zu schädigen.

Mit der Unabhängigkeit der Kolonialgebiete Mitte bis Ende des 20. Jahrhunderts gingen die Nationalparks und Naturschutzgebiete in die Leitung der neugegründeten Staaten über. Oftmals wird jedoch kritisiert, dass alte sowie neue Parks und Schutzgebiete postkolonialistisch seien [Quelle „spektrum“ verlinken], also trotz der formellen Abschaffung des Kolonialismus noch immer koloniale Strukturen aufwiesen. Häufig ist der politische und finanzielle Einfluss westlicher Staaten und von Umweltorganisationen ausschlaggebend für die Handlungsweise und Gesetzgebung rund um die Parks. Die Zahl der Kritikpunkte ist groß. Sie betreffen etwa die zunehmende Militarisierung des Naturschutzes.
Vor dem Hintergrund der Kolonialismus-Erfahrungen in der Vergangenheit gibt es Stimmen, die ein grundlegendes Überdenken der aktuell üblichen Naturschutzkonzepte fordern. GEO hat ein kritisches Interview mit dem afrikanischen Biologen Dr. Mordecai Ogada über dieses Thema geführt.
Laut eines UN-Berichts ist der Biodiversitätsrückgang in Gebieten, die durch die lokale Bevölkerung betreut werden, im Durchschnitt geringer, als in denen, die durch externe Institutionen geleitet werden.

https://taz.de/Militarisierter-Naturschutz-in-Afrika/!5671721/
https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/postkolonialismus/6170
https://taz.de/Virunga-Nationalpark-im-Kongo/!5678539/
https://www.dw.com/de/brutaler-naturschutz-mit-deutschem-steuergeld/a-48767929
https://www.biologie-seite.de/Biologie/Selous
https://www1.wdr.de/stichtag/stichtag-yellowstone-nationalpark-100.html
https://www.un.org/sustainabledevelopment/blog/2019/05/nature-decline-unprecedented-report/
https://www.geo.de/natur/oekologie/23131-rtkl-umweltschutz-afrika-naturschutz-ist-der-neue-kolonialismus

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2. Entfernung von der Natur

In einer Zeit der zunehmenden Dominanz des Digitalen wird von vielen der Verlust unseres Bezugs zur Natur beklagt. „Wie viel Natur braucht der Mensch“ – in einem kurzen Vortrag auf der 11. Hamburger Klimawoche 2019 befasste sich Ulrich Gebhard, Professor für Didaktik der Naturwissenschaften an der Universität Hamburg, mit den philosophischen und gesundheitlichen Aspekten der Natur und unserer Entfremdung von ihr.

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3. Natur im Fokus von Bildungseinrichtungen

Bildungskonzepte, die naturnah sind oder direkt in der Natur stattfinden, erleben eine Renaissance. Im Jahre 1996 wurde nahe Gelnhausen der erste Waldkindergarten Hessens gegründet. Heute existieren in Deutschland mehr als 2000 dieser Einrichtungen. Sie haben ein Bildungs- und Betreuungskonzept, das auch von der Corona-Pandemie profitiert. Die Kinder verbringen den ganzen Tag an der frischen Luft, im Wald, bei jedem Wetter. Auch Rückzugsorte stehen dort zur Verfügung, oft umgebaute Bauwagen. In diesem Umfeld lernen die Kinder spielerisch die heimische Natur kennen. Studien zeigen, dass der Besuch von Waldkindergärten sich positiv auf die Gesundheit, Motorik und Konzentrationsfähigkeit von Kindern auswirkt.
Vergleichbare Schulkonzepte sind deutlich weniger verbreitet. Verschiedene Schulen führen inzwischen Waldtage ein, um der Naturbildung gerecht zu werden, oder verlegen Unterrichtseinheiten nach draußen. An vielen Universitäten sind außerschulische, naturnahe Lernorte zu einem zentralen Thema der Biologiedidaktik geworden.
Alternative Bildungskonzepte wie Montessori- oder Waldorfschulen vertreten häufig ebenfalls naturnahe Ansätze. Dort haben Schüler entweder mehr Spielräume bei der Gestaltung ihrer Lernumstände (Montessori), oder sie betreuen einen eigenen Schulgarten und absolvieren ein Praktikum auf ausgewählten Bauernhöfen (Waldorf).

https://www.bvnw.de/ueber-uns
https://www.besser-bilden.de/naturschule-waldkindergarten/waldkindergarten-und-naturschule-paedagogik/
https://www.op-online.de/region/hanau/hanau-ohne-ende-frische-luft-waldkindergaerten-sind-keine-neue-aber-in-corona-zeiten-eine-besonders-gute-idee-90062785.html
https://www.demeter.de/fachwelt/demeter-akademie/praktikum-waldorfschule

Schulen versuchen aktuell, wie im Videobeitrag der hannoverschen „Leonore-Goldschmidt-Schule“ gezeigt, Natur und Umwelt über Arbeitsgruppen hinaus – etwa durch Schwerpunktklassen – stärker in den Fokus zu rücken.

Über Bildungseinrichtungen hinaus beschäftigen sich noch viele weitere Akteure mit der Naturbildung. Im Folgenden möchten wir eine kleine Auswahl aus der Bandbreite aller Initiativen, Verbände und Vereine nennen.

Der „Deutsche Jagdverband“ berichtet in einem Videobeitrag, wie er in einer Initiative versucht, Kindern und Jugendlichen den Lernort Natur näherzubringen.

Der „Naturpark Dübener Heide“ stellt im einem Videobeitrag sein neues Konzept der Entdeckertage vor, in denen die Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) im Vordergrund steht.

Der „Naturschule Deutschland e.V.“ bietet unter dem Motto „Natur erleben, Natur verstehen, Natur vermitteln“ Weiterbildungskurse zur Förderung der naturnahen Bildung verschiedener Altersgruppen.

Wir leben in einer Epoche, welche die Wissenschaft Anthropozän nennt – also das „Zeitalter des Menschen“. Aber was bedeutet das, und was folgt daraus? In einer umfangreichen Sendung beleuchtet „Terra X“ die Geschichte des Menschen sowie seines Einflusses auf die Umwelt und reflektiert, was wir heute tun müssen, um diese Umwelt zu erhalten.

5. Sind Entscheidungen geschlechtsspezifisch?

Unterschiede zwischen Mann und Frau – ein Thema, das die Menschheit zwar schon seit Jahrtausenden beschäftigt, das gegenwärtig in Gesellschaft und Wissenschaft aber besonders präsent ist. So unterscheiden sich die beiden Geschlechter anscheinend in der Art der Entscheidungsfindung. Verschiedene Studien weisen darauf hin, dass Frauen in vielen Bereichen durchschnittlich vorsichtiger agieren als die risikofreudigeren Männer. Dies zeigt sich vor allem bei Entscheidungen, die Finanzen, Gesundheit, Ethik und bestimmte Freizeitaktivitäten (Bungeespringen, Paragleiten, etc.) betreffen. Die einzige Ausnahme, bei der die Risikobereitschaft von Frauen häufig höher ist, sind soziale Entscheidungen. Das betrifft zum Beispiel das Ansprechen von unpopulären und persönlichen Themen oder das Tragen außergewöhnlicher Kleidung.
Umfragen bestätigen, dass Frauen im Schnitt mehr Wert auf den sozialen Bereich legen. Danach hätte die Woche weniger Arbeitsstunden und das Sozialwesen würde gestärkt, wenn Frauen die alleinige Entscheidungsgewalt hätten.
Es ist jedoch nicht endgültig geklärt, ob diese Unterschiede genetisch bedingt sind oder durch soziale Prägung erzeugt werden. Auf die wichtige Rolle der sozialen Prägung weist unter anderem eine Untersuchung hin, welche die Risikobereitschaft von Mädchen in ihrem schulischen Umfeld beleuchtete. Die Schülerinnen einer reinen Mädchenschule erwiesen sich dabei als wesentlich risikobereiter als Mädchen, die eine gemischtgeschlechtliche Schule besuchten.

https://www.zeit.de/zeit-magazin/2017/35/feminismus-frauen-macht-entscheidungen
https://www.spiegel.de/karriere/frauen-und-maenner-gemischte-teams-faellen-bessere-entscheidungen-a-1137656.html
https://www.beuth-hochschule.de/fileadmin/oe/gutz/Schriftenreihe/GuTZ-Schriftenreihe_01_Dez2009_Barthel.pdf

Der Kanal „Quarks“ hat sich in dem Zusammenhang der Geschlechterunterschiede mit der Frage befasst, ob das menschliche Gehirn solche Unterschiede aufweist.

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Interessierte Hörerinnen und Hörer finden auf dieser Seite weiterführende Informationen zu den einzelnen Sendungsthemen als Zusatzmaterial.

Die Zusatzmaterialien werden in der Reihenfolge gelistet, in der die Stichworte in der Sendung Erwähnung gefunden haben. Die Materialien wurden zum Zugriffszeitpunkt 03.06.2021 erstellt von:
M.Sc. Biol. Karl Trüller & B.Sc. Biol. Lennart Schulte

Zusatzmaterialien als PDF zum Herunterladen